Ausschnitt aus "der Gral" von Arthur Maximilian Miller
Klause des Trevrizent
Trevrizent kniend vor dem Altar betend:
Ans Kreuz der Knochen angeheftet leben wir
seufzend dem Tode. Denn du, o Erde, bist das
Kreuz,gereckt in Höhen und in Breiten.
Du bist der Tod.
Uns eingeboren ist der Tod.
Wir haben wider ihn nicht Macht.
Macht hast nur du,
der Erstgeborene der Toten.
Denn du erstandest aus dem Grabe.
Was keiner tat, vollbrachtest du.
Den Sieg errangst du und das Heil
und tratest unversehrt aus der Verwesung,
und warest ganz, und warst der erste
Mensch.
Verwandle uns, Lebendiger, im Tode,
errette uns ins Leben, der du lebst
und alles an dich knüpfst als an die Nabe
des heilgen, ewiglichen Rades, Herr.
Erstandener, daß wir mit dir erstehen
und in dir leben. Amen
(es pocht)
Trevrizent (erhebt sich):
Wer pocht? Ist jemand hier?
Parzival (außen): Ein Fremder, Vater.
Nimm ihn zu dir!
Trevrizent:
Tritt ein!
Parzival (tritt ein):
Ich danke dir.
Trevrizent:
In Waffen heut? Aus welcher Ferne kommt
Ihr?
Kennt Ihr den Tag nicht, den wir heut
begehn?
Den großen, ernsten, heilgen Trauertag?
Legt Eure Waffen ab!
Parzival:
Ich tu es gerne.
Dir zu gehorchen, Vater, zögre ich nicht.
Trevrizent:
Was sucht Ihr bei mir? Wärme vor dem
Froste?
Die findet Ihr. Und Speise? Damit kann ich
nicht dienen Euch.
Parzival :
Ich suche deinen Rat.
Ich bin gefallen in das Netz des Zweifels.
Umstrickt ist meine Kraft. Was ich vollbringe,
ist keine Tat, es keimt nicht in das Licht.
Trevrizent:
Setzt Euch hierher. Erwärmt Euch. Wenn der
Frost die Glieder fesselt, wird auch starr das Herz.
Mit Rat will ich Euch dienen, wenn ich kann.
Wer wies Euch her?
Parzival :
Ein Pilger, bloßen Hauptes,
der barfuß mit den Seinen zog im Schnee.
Trevrizent :
Das war Fürst Gabenis. Des Jahres einmal,
am Todestage Gottes, unsres Herrn,
wallt er zu mir, das Zeichen zu verehren,
das uns zum Heile ward. Sein Herz ist rein.
Rein sind die Herzen aller seiner Kinder.
Parzival :
Rein schien auch ich einst; denn die Reinen nahmen
mich gerne auf. Doch seither hat mein Wesen,
hat meiner Waffen drohend düstre Glut
die Menschen fürchten machen.
Trevrizent :
Toren fürchten
vor Waffen sich. Kein Eisen schneidet, wenn
ihm Gott nicht Schärfe leiht. Ich kenne
das Waffenhandwerk wohl. Um Minne ritt ich
vor Zeiten viel durchs Land. Das ist vorbei.
Entschwunden schier ist meinem Geist die Zeit,
da Taten mich bewegten. Abenteuer,
Ereignisse, die Herz und Sinn ergreifen,
sind nur in Gott.
Parzival (umhersehend):
Ich kenne diesen Raum.
Dort diesen Schrein aus leuchtend grünem Steine
hob ich schon einmal weg von diesem Tisch,
auf ihn zu schwören. Tausend Jahre, dünkts mich,
sind seitdem hin.
Trevrizent :
Ich fand an jenem Abend
den Schrein verrückt, Die Zeit ist mir bekannt.
Fünfeinhalb Jahre und drei Tage sind es.
Parzival (grübelnd):
Fünfeinhalb Jahre! Ach, so lange Zeit
und länger noch sah ich mein Weib nicht wieder!
Trevrizent :
Ihr seufzet! Ihr seht düster. Sprecht zu mir!
Ihr kommt um Rat. Was fehlt Euch?
Parzival :
Alles, Vater.
Die Sonne kenn ich nicht, den Glanz des Mondes,
die Sterne ob der Erde sind mir blind.
Im Düstern reit ich ohne Ziel und Ende.
Was Lachen ist, ich weiß es längst nicht mehr.
Auch nicht, was Schmerz ist. Kirche nicht, noch
Münster sah ich seit langer Frist. Was sollt ich dort?
Ich haßte Gott, ich haß ihn wohl für immer.
Trevrizent : Was redet Ihr!
Parzival :
Er tauchte mich in Schande
hinab wie in ein Meer, von Flüchen warf
er drohend auf das Herz mir ein Gebirge;
aus meiner Menschheit jäh hinabgestürzt,
schrie ich im Abgrund. Aber meine Stimme,
mit der ich brüllte in der Finsternis,
so wie der Stier entgegenbrüllt dem Morgen,verhallte in der Öde ungehört.
Da wars genug. Aufstand ich in mir selber
und heiß im Leib entflammte sich der Grimm.
Womit hab ich verdient, daß er die Geißel
des Hohnes sandte auf mein bloßes Herz?
Womit, daß er mit Streichen wilder Rache
mich jagte aus den Grenzen dieser Welt,
daß ich, der Blödheit Bande von mir schüttelnd,
am äußersten der Orte Wohnung nahm,
dort, wo sich außer mir kein Wesen findet?
Ihr rühmet seine Treue? Tut Ihr dies,
nur weil Euch Eure Väter solches lehrten,
weil Ihr zu fromm, zu träg zur Prüfung seid?
Wie, oder habt Ihr Treu von ihm erfahren?
Wenn aber Ihr, warum nicht ich mit Euch?
Was irr ich weglos durch die Wüsteneien,
der ich ihm einst mit ganzer Lust gedient?
Was sendet er den Wolf auf meine Fährte,
den Wahnsinn in mein Herz, und statt der Engel.
die jedes Wandrers Schritte schirmen sollten,
den Fittigschwarm der augenlosen Schar,
die in der Dämmrung gräßlich uns umflattert?
Wagt er ein Spiel mit mir, das, wenns mißlingt,
auf ewge Zeit den Zirkel seiner Gottheit
entzwei bricht?
Trevrizent (seufzend):
Ach, so redet, wer den Stoß
sich selber gab, wer selber sich das Herz
zermalmte! Nun vermag ich zu begreifen,
warum Ihr so gerüstet fürder zieht.
Denn Eisen liegt nicht nur um Eure Glieder,
es schient auch Euer Herz, und dieser Trotz
und dieses starre, wilde Widerstreben
soll vor Euch selbst den Schein von Kraft Euch leihn,
soll die gespaltne Brust Euch fester binden,
daß sie in Stücke nicht zerfalle. Herr,
entwaffnet Euch vor Gott, denn mit den Waffen
erzwingt Ihr nichts. Gott ist ein innres Glühen,
das schmilzt Euch Eure Rüstung jäh dahin,
Euch zu Euch selbst gewaltiglich entfachend.
Wer wider Gott steht, steht auch wider sich
und kann im Kampfe auf sich selbst nicht bauen.
Parzival:
So soll ich nichts sein?
Trevrizent:
Nichts an Stolz und Wahn.
Denn dieses Nichts ist wundersame Fülle.
Wo Gott ist, seid auch Ihr, und ohne Gott
seid Ihr nur Schein Euch, Maske nur und Schemen,
Höhle der Leerheit, blinden Wahnsinns voll.
Im reinen Nichts ist Gott, im Odemlosen
bricht seine Fülle auf. - Ihr fallt dahin,
wie Gras ins Feuer fällt, zu Rauch vergehend,
und staunend findet Ihr Euch selbst im Nichts,
im Scheine Gottes ewiglich geboren,
und jetzt erst fangt Ihr wahrhaft an zu sein.
Begreift Ihr das?
Parzival : Ich ohne mich? Vergehend?
Preisgebend mich wie ein verzagend Weib?
Dies lehret keinen Rittersmann begreifen.
Trevrizent :
Hier ruht verborgen das Geheimnis. Scheitern
wird Euer Schiff und sinken in den Grund,
wenn Ihrs nicht fasset, und Ihr fassets nur,
wenn Ihr die Rüstung werft von Eurem Herzen.
Denn über aller Kühnheit, allem Mut
ist Demut, Herr, sie wagt ihr Sein und Wesen.
Parzival :
So lehret mich!
Trevrizent :
Tut alles von Euch ab,
was Euch bis jetzt zu eigen war, und höret!
Denn der Geheimnisse Geheimnis tritt
an Euch heran, Euch winkend, ihm zu folgen.
Gott helfe Euch, daß Euer Sinn nicht wankt,
den messerscharfen Grat entlang zu schreiten,
da rechts und links Verderben um Euch gähnt. -
Es ist ein Wort, erhaben und gewaltig,
verwurzelt in den Urgrund aller Welt,
verflochten mit der ganzen großen Schöpfung.
Ich nenns Euch: Ich! Darinnen ist der Tod,
der Untergang, das ewige Verderben,
darinnen ist die Rettung auch, das Heil.
Denn dieses Ich ist wunderbar geartet:
Es ist, indem es nicht ist, es verharrt,
indem es unaufhörlich fort sich wandelt,
es wird bewahrt, indem es sich verschenkt,
es lebt, indem es sterbend sich veratmet,
es faßt sich selbst, indem es sich verliert,
im Meer versinkend tritt es an sein Ufer,
sich opfernd wirkt es Rettung und Gewinn.
Dies Ich ist sich und ist doch alles andre,
ist Gott und Mensch und Ewigkeit und Zeit,
und wo es nicht so ist, wie ich Euch sagte,
so ists ein Wahn und nur sein eigner Spott.
Denn alsbald, wie es strebt, sich selbst zu wahren,
sich selbst zu gründen, in sich selber sich
zu schließen wie die Burg in ihre Mauer,
wie in den Panzerring des Ritters Brust,
so fällt es von sich ab und stürzt ins Dunkel.
Sein Sein erstrebend taumelt es ins Nichts.
Erstarrend stirbt es ab zu toter Maske,
Trotz bietend dem, aus dem es ist und kam,
in blinder Torheit, sinnberaubt und eitel,
knirscht es den leeren Namen vor sich hin.
Dies ist das Ich des Bösen- es ist Eures.
Parzival:
Du Schrecklicher, du blickst kristallnen Augs
bis auf den Grund der Dinge. Was an
Kämpfen bis heut ich fand, ist Spiel nur
gegen dies,
was hier mich ruft zum höchsten
Waffengange.
Nicht Ither, nicht Kingrun, Clamide nicht,
noch wie der Helden Namen sonst sich
weisen.
sind meine Gegner, du bists, Klausner, du!
Denn wahrlich, diamanten ist die Waffe,
mit der du ausholst gegen meine Brust!
Trevrizent : So nimm den Schild, der einzig
dich mag decken:
Ergebung heißt er.
Parzival :
Steh nicht still im Streit!
Laß Schlag um Schlag und Stich auf Stich
mich fühlen.
Trevrizent :
Weißt du von Luzifer?
Parzival :
Nur dunkles Wort,
Sprich mir von ihm und zeig ihn mir in
Klarheit,
Trevrizent : Er war der Engel, der die Freiheit
nahm,
die Gott ihm gab, sich selbst damit zu
schmücken.
Er war der erste, der sich unterstand,
sein Ich zu stellen gegen seinen Schöpfer.
Der erste, der begehrte, Gott zu sein.
Furchtbarer Wahn! Gott ist man nur in Gott.
Ein andres Gottsein ist nicht. Doch er riß sich
aus Gottes Busen los und sprach das Nein,
aufwerfend sich im Nichts der eignen Torheit,
Aufruhr entfachend in der Engel Reich.
Da stand er, seiner Wesenheit entnommen,
des eignen Grunds beraubt, und blähte sich,
und jäh riß ihn der wilde Sturz hinunter.
Das ist das Ur der Sünde: Sonderung!
Nicht zwei in Eins, nein, Aufruhr gen das
Eine, Empörung eines falschen Gottes, Trotz,
sich steigernd bis zum Schrei der blinden
Rache.
Kennst du den Sturz? Den Fluch, den das
Geschöpf
blind rasend schleudert wider den Erzeuger,
und mit dem eignen giftgen Speer sich trifft?
Vernahm es nicht die Höhlung dieser Kammer
das Kreuz, der Altar nicht: „Da stand ich auf
und heiß im Leib entflammte sich der
Grimm"-
Wer sprach dies Wort? Der Mensch, des
Vaters Kind?
Schries nicht der Haß des Engels aus dem
Abgrund?
Parzival:
Du richtest mich.
Trevrizent:
Wenn dich die Hand des Herrn
im Schmerze schlug, - verdienst du nicht die
Rute?
Doch still, du stürzest jenen selben Sturz, den
vor dir Engel taten, den die Menschheit
in allen ihren Gliedern tat, dem keiner,
der unsern Namen trägt, seit je entrann,
Denn Gott zu sein, die glühende Verlockung,
dies war ein stolzer, ungeheurer Ruf,
Und war der Mensch zur Gottheit nicht erkoren?
Der Schöpfer setzte, da der Lichte fiel,
als höchstes Reich der Geister ein den Menschen,
Da ihn das Gottsein lockte, sollt er nicht
dem Tone lauschen, der ihn tief betörte?-
Den goldnen Apfel hält des Königs Hand,
Gott gleich die heilge Herrschaft auszuüben.
Nach diesem Apfel griff der Mensch voll Gier,
er nahm ihn, aus den Händen nicht des Vaters,
er nahm ihn aus des Bösen Gleißnerhand.
Und da er aß, entstürzte er dem Lichte.
Entstürzte, ja, und fuhr zur Tiefe hin,
ein Stern, dem ewgen Himmelsschoß entrissen,
fortrasend durch die Finsternis der Welt,
die ohne Ende neu und neu sich öffnet.
Parzival :
Weh, welches Bild entrollst du meinem Aug?
Trevrizent:
Der Ewige ward sterblich. Krankheit fiel
ins Mark ihm, Ängste rissen seine Seele
ins Grauen fort, die heilgen Sterne schwanden
ins leere Blau des Himmels, Wahnsinn kam,
Vergiftung, Krankheit endlich kam der Tod.
Denn jeder, der vom ewgen Quell des Lebens
sich sondert, stirbt.
Parzival :
Ich kenne diesen Tod.
Da ist kein Licht, kein Funke einer Hoffnung.
Trevrizent :
Und Gott? Was tat er zu der Menschen Heil?
Zwang er mit aufgehobner Zornesgeißel
die Frevler auf die rechte Bahn zurück?
Warf er den Blitz der Rache auf sie nieder?
Vernimm die Tat, die, groß und unerhört,
umsonst das Herz des Menschen strebt zu fassen:
Er stieg hinab zur Tiefe, wurde Mensch,
den Tod an seinem Orte aufzusuchen,
Unsterblichkeit zu pflanzen in das Blut,
das Grauen der Verwesung wegzutilgen.
Er tauchte ein ins Meer der Todesangst,
ans Kreuz geheftet litt er alle Qualen,
die ihm der Hohn des Feindes je ersann,
und trank den Becher bis zum letzten Grunde.
Und da geschah's-sein Blut rann leuchtend hin,
er aber riß die tödliche Verflechtung
des Leibs empor aus der Vernichtung und
er trat, in seiner Gänze hell erstrahlend,
als Erster aller Sterblichen hervor.
Denn wahrlich: unser Leib, die heilge Gründung,
die uns der Feind in seinem Haß zerbrach.
ward neu errichtet von der Hand des Siegers.
Gerettet ist der Mensch.
Aus Eurem Auge seh ich Tränen brechen?
Ihr spürt, was Gott ins Grab der Erde zog
und in die letzte heilige Entscheidung?
Die Liebe, Ritter. Denn er bringt uns nicht
die Liebe zu als eine äußre Gabe:
er ist die Liebe. Was er wirkt und schafft
ist Liebe. Wollt Ihr in sein Herz
als in den Abgrund allen Lichts Euch stürzen,
so werdet Liebe, brecht in Flammen aus,
erglüht in Euch zu innerster Entfachung,
zu reinem Brand, zu tödlicher Gewalt!
Denn Liebe ist der Übertod, verzehrend,
was je verzehrbar war, steigt sie empor,
mit Feuerflügeln Gottes Antlitz suchend.
Parzival : Was tust du mir? Du brichst mich
gänzlich nieder.
Mir selbst entstürzend, fühl ich frei mich
stehen in meiner eignen Beugung tiefem
Raum. O, was geschieht mir? Sterb ich oder leb ich?
Trevrizent:
Du lebst, indem du starbest. Lauschend hebt
dein Herz sich aus dem Grabe der
Verzweiflung.
Nun werde stumm und übe Demut, Freund!
Die Hoffnung kommt wie Dämmerung des
Morgens.
Berühr sie nicht mit wahnbenommner Hand!
Sei still und harre! Einem Diebe ähnlich
naht sich der Herr. Verhüllst du dein Gesicht,
verhülle auch dein Herz in heilgem
Schweigen.
Parzival :
Sprich, er verwarf mich nicht?
Trevrizent:
Verwerfen? Bruder!
Die Liebe zürnt nicht, straft nicht, eifert
nicht,
die Liebe kennt nur eines: Das Vereinen......